Die vielen Baustellen im Gesundheitswesen und die hohe Dynamik der Gesundheitspolitik bergen viele wichtige Herausforderungen – aber auch die Gefahr sich zu verzetteln. Wer auf jedes Ereignis reagiert und jedes Thema bearbeitet, verliert zwangsläufig die eigenen Kernthemen aus den Augen und wird trotz hohem Aufwand keine relevante Wirkung erzielen.
Choose your battles wisely
Damit die FMH ihre Ressourcen gezielt einsetzen und wichtige Anliegen effektiv vertreten kann, ist folglich eine klare strategische Ausrichtung unserer Arbeit essentiell. Entsprechend fordern auch die Statuten der FMH eine «Ausarbeitung der politischen und strategischen Zielsetzungen» durch den Zentralvorstand, die anschliessend durch die Delegiertenversammlung beraten und die Ärztekammer genehmigt werden müssen. Doch nicht nur dieser Verabschiedungsprozess, insbesondere die Entwicklung einer neuen Strategie muss sicherstellen, dass diese den Ansprüchen der FMH-Mitglieder und den Herausforderungen des gesundheitspolitischen Umfelds gerecht wird.
Aber was sind die zentralen Herausforderungen?
Um entscheiden zu können, welche zentralen Herausforderungen die Strategie adressieren soll, hat es sich darum bewährt die Meinungen relevanter Anspruchsgruppen abzuholen. Dies sind für die FMH in erster Linie ihre Mitglieder und die sie vertretenden ÄK-Delegierten. Zusätzlich muss aber auch vertieftes Wissen über das gesundheitspolitische Umfeld einbezogen werden. Um den strategischen Fokus optimal auszurichten, wurden darum folgende Gruppen befragt:
Was priorisieren die FMH-Mitglieder und ihre Delegierten?
In der Online-Befragung bewerteten FMH-Mitglieder und ÄK-Delegierte für 35 Themen, welche Wichtigkeit die FMH ihnen auf einer Skala von 0 (unwichtig) bis 10 (sehr wichtig) zumessen sollte. Tabelle 1 zeigt die von den Mitgliedern als am wichtigsten beurteilten Themen zuoberst und die als am wenigsten wichtig beurteilten Themen zuunterst.
Sowohl die FMH-Mitglieder als auch die ÄK-Delegierten sahen klar die ambulanten Tarife gemeinsam mit der Interessensvertretung und Gesundheitspolitik als höchste Priorität. Ebenfalls hohe Priorität hat für sie der Einsatz für gute berufliche Rahmenbedingungen, die eine sinnhafte Berufsausübung ermöglichen, der zunehmende Fachkräftemangel sowie der hohe administrative Aufwand. Die ÄK-Delegierten massen zusätzlich weiteren Themen hohe Bedeutung zu: Die Beschränkung der zunehmenden staatlichen Regulierung, die Pflege eines guten Images der Ärzteschaft, eine starke mediale Präsenz der Positionen der FMH sowie das Aufzeigen des Nutzens der Versorgung.
Tabelle 1: Durchschnittliche Bewertungen der FMH-Mitglieder und ÄK-Delegierten zur Frage «Welche Wichtigkeit sollte die FMH den folgenden Themen zumessen?» mit Werten zwischen 0 (unwichtig) und 10 (sehr wichtig)
Grosse Übereinstimmung innerhalb der Ärzteschaft
Die priorisierten Herausforderungen waren in verschiedenen Subgruppen der FMH-Mitglieder nahezu identisch. Die in Tabelle 1 aufgeführten Top-Prioritäten fanden sich z. B. bei ambulant und stationär tätigen Mitgliedern gleichermassen, selbst die hohe Bedeutung der ambulanten Tarife wurde von den stationär tätigen Ärzten und Ärztinnen geteilt. Auch die Ärzte und Ärztinnen verschiedener Sprachregionen und Altersgruppen unterschieden sich kaum in ihren Prioritäten.
Auch auf den letzten Rängen fanden sich in allen analysierten Subgruppen mit dem «Klimawandel» und «neuen Eignungstests fürs Medizinstudium» die gleichen Themen. Sämtliche Altersgruppen, einschliesslich der jüngsten Befragten unter 34 Jahren, betrachteten diese Themen nicht vorrangig als Aufgabe der FMH. Die Rangfolge der Themen lässt darauf schliessen, dass die Mitglieder von der FMH vor allem erwarten, dass sie spezifische Themen der Ärzteschaft priorisiert, für die sich sonst niemand oder nur wenige Akteure nachdrücklich einsetzen.
Und was meinen die Experten und Expertinnen?
Die umfassenden Antworten der Experten und Expertinnen auf die offene Frage «Was sind die wichtigsten Herausforderungen im Gesundheitswesen, denen sich die FMH bis 2028 stellen muss?» sind in Abbildung 1 visualisiert. Die farbigen Flächen geben einen Überblick, wie viel Raum einzelne Themen in den Antworten einnahmen – gemessen am Textumfang bzw. der Zeichenzahl. Man sieht, dass nur drei Themen fast die Hälfte der Antworten ausmachten: Die «Digitalisierung und KI» wird gefolgt vom «Ärzte- und Fachkräftemangel» bzw. «Problemen der Versorgungssicherheit», die wegen ihrer inhaltlichen Nähe zusammengefasst wurden. An dritter Stelle stehen Herausforderungen rund um die «integrierte Versorgung, Interprofessionalität und neue Versorgungsmodelle». Erst an vierter Stelle finden sich Kosten- und Finanzierungsthemen, wobei manche die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens anmahnten, andere hingegen den Kostenfokus der Politik kritisierten.
Welche Herausforderungen sieht der Zentralvorstand?
Das Risikomanagement des Zentralvorstands betrachtet neben operationellen und finanziellen Risiken der FMH auch Entwicklungen des gesundheitspolitischen Umfelds. Hier beobachtet der ZV eine zunehmende staatliche Mikroregulierung, die auch bei der Aushöhlung der Tarifautonomie sichtbar wird. Die Regulierung erhöht zudem die administrative Belastung im Gesundheitswesen, demotiviert die Fachkräfte und nimmt ihnen wertvolle Zeit für die Patienten und Patientinnen. Dies verstärkt ein weiteres zentrales Problem unserer Gesundheitsversorgung: den Fachkräftemangel, der neben Medikamentenengpässen die Versorgungssicherheit zunehmend gefährdet.
Weitere wichtige Herausforderungen verstärken sich mit der zunehmenden Ambulantisierung: Diese erfordert eine bessere Vernetzung der Strukturen, eine gut funktionierende digitale Kommunikation, neue Zusammenarbeitsmodelle, neue Berufe und Berufsrollen sowie Weiterentwicklungen der Aus- und Weiterbildung aller Gesundheitsberufe. Auch neue Technologien werden dabei eine wichtige Rolle spielen und die Patientenbehandlung immer stärker prägen.
Abbildung 1: Bedeutung verschiedener Herausforderungen in den Antworten der Expertinnen und Experten gemessen an der Zeichenzahl
Synthese in einer Strategie
Aus den oben skizzierten verschiedenen Perspektiven auf die zu priorisierenden Herausforderungen galt es in der Folge eine Strategie mit Vision, Mission und Zielen zu entwickeln, die die Ansprüche der Mitglieder und des Umfelds aufnimmt. Diese Strategie sollte jedoch nicht rein reaktiv bestehende Probleme fokussieren, sondern darüber hinausgehend positive Stossrichtungen und eigene Ziele formulieren um proaktives Handeln zu fördern. Zudem sollte sie zentrale Inhalte konkret und verständlich benennen, andererseits aber auch genug Gestaltungsfreiheit lassen, um während einer Legislatur flexibel handeln zu können. Das Ergebnis dieses Prozesses ist in dem FMH-Strategiehaus (Abbildung 2) graphisch aufbereitet.
Die ganze Strategie in einem Haus
Die Eule auf dem Haus hat das Fernziel der FMH – die Vision – im Blick. Diese beschreibt den idealen Zustand, den die FMH anstrebt: Ärztinnen und Ärzte sollen in einer allgemein zugänglichen, effizienten und qualitativ hochstehenden Gesundheitsversorgung arbeiten können, die attraktive Arbeitsbedingungen bietet und den Nutzen für Patientinnen und Patienten sowie die Bevölkerung in den Vordergrund stellt.
Seitlich links des Hauses ist auch eine Kurzform der FMH-Mission festgehalten. Diese beschreibt spezifischer, was die FMH tut, für wen sie es tut und wie sie es tut: Die FMH engagiert sich für attraktive Rahmenbedingungen, die eine sinnhafte ärztliche Berufsausübung und eine verantwortungsvolle Patientenversorgung erlauben. Dafür bündelt sie die Kraft ihrer Mitgliedsverbände und richtet ihre Tätigkeiten konsequent am Mehrwert für ihre Mitglieder aus. Im Dienst der Gesellschaft fördert sie zudem eine partnerschaftliche Zusammenarbeit und ein gemeinsames Werteverständnis im Gesundheitswesen.
Die Zimmer des Strategiehauses beherbergen die strategischen Ziele, die zukünftig als Richtschnur bei Entscheidungen über die Ausrichtung und Priorisierung von Tätigkeiten dienen werden. Der Wunsch der FMH-Mitglieder nach einer guten Interessensvertretung spiegelt sich im ersten Ziel des «starken Berufsverbands». Dieses Schild auf dem Dach des Strategiehauses ist allen anderen Themen übergeordnet, da ein starker Verband die Voraussetzung für das Erreichen aller anderen Ziele bildet. Im Inneren des Hauses finden sich die übergeordneten strategischen Ziele der Versorgungssicherheit, der sinnhaften Berufsausübung und -entwicklung sowie der finanziellen Nachhaltigkeit. Im Parterre sind zudem neben der optimalen Versorgung, die öffentliche Gesundheit, eine nützliche Digitalisierung, eine angemessene Vergütung und natürlich attraktive Dienstleistungen zu finden. Die in den Befragungen priorisierten Themen bilden sich also nicht immer direkt und wörtlich in den Zielen ab, sind darin jedoch enthalten. So setzen wir der Sorge um den Fachkräftemangel z. B. unseren Einsatz für Versorgungssicherheit entgegen oder subsumieren unser Engagement für sachgerechte Tarife und Tarifautonomie unter dem Thema angemessene Vergütung.
Umsetzung startet mit den Fokusthemen …
Um die strategische Ausrichtung unmittelbar in der Arbeit des Generalsekretariats umzusetzen, wurden abgestimmt auf den strategischen Rahmen zusätzlich drei Fokusthemen konkretisiert, nämlich «genügend Fachkräfte», «erfolgreiche Ambulantisierung» und «administrative Entlastung». Diese Themen sind – wie auch Abbildung 2 andeutet – zentrale Themen des Dorfes, in dem das FMH-Strategiehaus steht und die unsere strategischen Ziele unmittelbar betreffen. Die Ausrichtung der operativen Arbeiten an diesen Fokusthemen hat bereits begonnen und wird ein wichtiger Teil der Strategieumsetzung sein.
… und braucht Ihre Unterstützung
Die neue Strategie 2025–2028 bildet eine gute und breit abgestützte Basis, um die Arbeit der FMH auf die wichtigsten Prioritäten auszurichten und damit die Schlagkraft der FMH im Sinne ihrer Mitglieder zu erhöhen. Im Generalsekretariat der FMH werden die formulierten Ziele täglich mit konkreten Inhalten gefüllt. Diese operative Arbeit, aber auch die Unterstützung der strategischen Ziele durch unsere Mitglieder und Mitgliedsverbände wird entscheidend sein, damit wir als starker Berufsverband wirksam das Gesundheitswesen mitgestalten können.