FMH – Berufsverband
 

Von der Hilfe zur Selbsthilfe profitieren Betroffene und die Ärzteschaft

Tag der Kranken Seit über 85 Jahren setzen der Verein Tag der Kranken, seine Mitglieder und die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident am ersten Märzsonntag ein Zeichen für die kranken und beeinträchtigten Menschen in der Schweiz. Mit dem Motto 2025 «Hilfe zur Selbsthilfe» wollen wir Betroffene und Angehörige ermutigen, den Austausch zu suchen und die Angebote – sei es im Einzelsetting, in der Gruppe oder Online – in Anspruch zu nehmen.

Nicole Fivaz
​​​​​​​lic.rer.pol., Leiterin der Geschäftsstelle Tag der Kranken

Sich Wissen aneignen und Probleme in die eigenen Hände nehmen: Dies ist der Kern der «Hilfe zur Selbsthilfe». Verbunden mit dem Wunsch, die eigene Situation zu verbessern, werden Betroffene und Angehörige aktiv. Sie bringen sich Methoden bei oder nehmen Angebote in Anspruch, um sich selbst zu helfen und werden aufgrund von Erfahrungen kompetente Expertinnen und Experten, die selbstbestimmt ihren Weg gehen. Aber Hilfe zur Selbsthilfe kann noch weit mehr. Wer sich Wissen über Gesundheit und Krankheit zu eigen macht, kann im Notfall oder bei anspruchsvollen gesundheitlichen Situationen richtig handeln, was Leben retten wie auch körperliche und psychische Leiden lindern kann – sei es bei kranken, beeinträchtigten oder betagten Menschen. Auch darauf wollen wir gemeinsam mit unseren 40 Mitgliedern am Tag der Kranken am 2. März 2025 mit dem Motto «Hilfe zur Selbsthilfe» hinweisen, getreu unserem Ziel, die Bevölkerung jährlich auf ein besonderes Thema aus dem Bereich «Gesundheit und Krankheit» zu sensibilisieren.

Grosses Bedürfnis nach Austausch
Das Themenspektrum der Selbsthilfe ist riesig und beinhaltet Bereiche, an die man in einem ersten Schritt gar nicht denkt. Für den Tag der Kranken 2025 fokussieren wir uns auf Beeinträchtigungen sowie die physischen und psychischen Erkrankungen – seien sie nun chronisch oder nicht. Dabei sind uns der Umgang mit diesen genauso wichtig wie Präventionsaspekte, um beispielsweise Krankheiten vorzubeugen. Bedeutungsvoll ist auch die Stärkung der Kenntnisse über das Schweizer Gesundheitswesen. Beides sind gute Möglichkeiten, das Gesundheitswesen zu entlasten und das Leiden von Betroffenen zu mindern. Wir sind gemeinsam mit Fachpersonen und Menschen mit chronischen Krankheiten, die andere Betroffene unterstützen, auf Spurensuche gegangen, um den Mehrwert der Selbsthilfe für Betroffene und Angehörige, aber auch die Grenzen zu beleuchten. Dabei hat sich gezeigt, dass die Selbsthilfe für viele Betroffene und Angehörige eine wichtige Stütze ist bei Fragen und im Alltag. Im Rahmen eines Porträts zum Tag der Kranken erklärt es eine Betroffene so: «Zu Beginn meiner chronischen Erkrankung, als so viele Fragen im Raum standen und ich mich mit vielen Kosten konfrontiert sah, bin ich froh gewesen um das Erfahrungswissen und die Tipps meiner Selbsthilfegruppe. Das hat mir in schwierigen Momenten viele Ängste genommen. Zudem kann man in der Selbsthilfegruppe ebenfalls Dinge kritisch hinterfragen, ohne dass es für jemanden wertend ist. Bei Fachpersonen hat man manchmal Angst, etwas Falsches zu sagen.» Allerdings sei so eine Gruppe nicht für alle der richtige Weg, weiss sie aus Gesprächen mit Betroffenen in ihrem Umfeld. Oft passiert die Selbsthilfe darum im informellen Rahmen und es ist von Person zu Person verschieden, welche Form der Selbsthilfe Anklang findet. Der grosse Vorteil der von professionellen Organisationen getragenen Angebote ist, dass bei Bedarf auch Fachpersonen zu Rate gezogen werden können, um Informationen auszutauschen und zu verifizieren. Die Fachpersonen ihrerseits profitieren vom Erfahrungswissen von Betroffenen und Angehörigen und können dieses bei ihrer täglichen Arbeit einfliessen lassen.

Selbsthilfefreundliche Institutionen
«Das Projekt selbsthilfefreundliches Spital hat seinen Ursprung in Deutschland, das bei diesem Thema etwas weiter ist. Aufgrund seiner Wirksamkeit wurde das Konzept auch in der Schweiz eingeführt. Dessen Akzeptanz ist hierzulande am Wachsen und es gibt neben den Spitälern nun auch ambulante Gesundheitsorganisationen, die mitmachen», erklärt Manuela Eder, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Luzern. Die Kooperationen mit diesen seien wichtig, um einen Draht zu Fachpersonen zu haben, mit diesen Informationen auszutauschen sowie um Angebote bei den Patientinnen und Patienten bekanntzumachen oder diesen weiterzuempfehlen. Für mitmachende Gesundheitsorganisationen sei umgekehrt die Sicht der Patientinnen und Patienten wertvoll, unter anderem um Informationen auf Verständlichkeit zu prüfen. Man erhalte zudem als Fachperson ein Gespür, was es heisse, mit einer Krankheit den Alltag zu meistern. Derzeit dürfen sich 23 Betriebe als selbsthilfefreundlich bezeichnen. Weitere 48 sind auf dem Weg dazu. Seit Sommer 2024 darf sich die lups das Label ebenfalls auf die Fahne schreiben, erklärt Martin Fluder, Leiter Pflege und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Luzerner Psychiatrie AG (kurz lups), der sich sehr dafür eingesetzt hat. Patientinnen und Patienten melden ihm immer wieder zurück, dass sie während ihrer stationären Behandlung am meisten vom Austausch mit anderen Betroffenen profitiert haben.

Zudem ist für ihn die Selbsthilfe wertvoll als Brückenangebot und Unterstützung, wenn es Wartefristen gibt, wie es derzeit bei Kindern und Jugendlichen der Fall ist im Bereich psychische Gesundheit. In der lups wird die Selbsthilfe sehr breit verstanden. So wird sie beispielsweise ins Boot geholt bei der Entwicklung von neuen Angeboten, um die Meinung der Betroffenen gezielt abzuholen. Allerdings sei das Ganze kein Selbstläufer. Es gelte immer wieder, den betreuenden Fachpersonen die Recovery-Haltung und die Selbsthilfeangebote, zu denen in der lups auch eigene Peer-Mitarbeitende gehören, in Erinnerung zu rufen.

Ein Betroffener erklärt den Wert der Selbsthilfegruppe so: «Während Therapien und Medikamente oft die Basis für Stabilität schaffen, bietet die Gruppe Raum für persönlichen Austausch und gegenseitige Ermutigung auf Augenhöhe.» Zudem schätzt er es, in der Gruppe Gedanken, Sorgen und Fortschritte zu teilen, ohne bewertet zu werden. Auch ist es für ihn wichtig, von neuen Strategien und Herangehensweisen anderer Betroffener zu hören. Diese unterschieden sich oft von den Ratschlägen, die man von Psychiatern oder Psychologen bekomme, und eröffneten ihm neue Perspektiven für den Umgang mit seiner Erkrankung. Es motiviere ihn zudem zu sehen, wie sie sich als Gruppe gegenseitig Mut machen und sich auf ihrem individuellen Weg weiterbringen.

Peers – ein wichtiger Pfeiler im Gesundheitssystem
Dass Betroffene mit Erfahrung (sogenannte Peers) Menschen unterstützen, die frisch von einer Krankheit oder Beeinträchtigung betroffen sind, ist ein Konzept, das sich wachsender Beliebtheit erfreut in der Schweiz. Nach entsprechenden Programmen im Paraplegikerzentrum Nottwil und im Bereich psychische Gesundheit gibt es seit einiger Zeit auch Angebote für Menschen mit chronischen Erkrankungen wie beispielsweise Krebs- oder Herz-Kreislauf-Krankheiten. «Peers mit ihrer eigenen Erfahrung sind sehr wichtig, denn sie können gut zuhören, reflektieren und gewisse Wege vorzeigen», erklärt etwa Hans Schmied, der als Peer arbeitet. Mit seinem Verein Gleich und Anders Schweiz hat er eine Anlaufstelle geschaffen, um Menschen mit einer psychischen Belastung zu unterstützen, den Weg zurück ins Leben zu finden. Selbsthilfe kann aber auch noch in anderer Form erfolgen. So zählen beispielsweise Fachliteratur, Websites von Patientenorganisationen, Apps und Ratgeber dazu, aber auch Gruppenangebote. Diese Breite sei wichtig und gut, ist man sich in der Fachwelt einig, denn nicht jedes Angebot passe für jeden und jede. Mit der Pandemie als Katalysator hätten zudem virtuelle Treffen und Online-Communities für die Selbsthilfe zugenommen. Dies bestätigt unter anderem Elena Konstantinidis von Selbsthilfe Schweiz und nennt Chats, Foren und Facebook als Gefässe. Heute finden etwa Peer-Gespräche und Selbsthilfe-Treffen auch über Video-Konferenzen statt. Dies habe den Vorteil, dass auch Menschen erreicht werden, die nicht aus dem Haus können, beispielsweise weil sie immobil sind oder Angehörige pflegen. Zudem können sich Interessierte über die Landesgrenzen hinweg vernetzen, was beispielsweise bei seltenen Erkrankungen wertvoll ist.

Selbsthilfe wirkt
Puncto Wirkung gibt es wiederum aus Deutschland viel Literatur und Studienergebnisse. «Man hat so viel Wissen, manchmal sogar mehr als die Behandelnden, vor allem wenn es um den Alltag und die Einschränkungen oder um Gespräche mit Angehörigen geht. Auch wenn es subjektive Erfahrungen sind: Es hilft zu wissen, dass es anderen auch so geht. Das Gemeinschaftsgefühl hat eine wichtige Wirkung, die entfaltet wird, und im Suchtbereich ist es beispielsweise erwiesen, dass die Selbsthilfe als Rückfallprophylaxe wirkt», erklärt die Forscherin Manuela Eder und ergänzt: «Die Selbstmanagementkompetenz steigt, denn die Teilnehmenden lernen, wo sie sich Informationen holen und welchen sie vertrauen können.» Man baue soziales Kapital auf, denn man habe jemanden, dem oder der man sich anvertrauen könne. Das Gleiche gelte bei den Angehörigen, die ja im kurativen Sektor selten involviert seien. Auch hier sei wieder das Gefühl wichtig, dass es anderen gleich gehe, aber ebenfalls die Botschaft, dass man sich neben der Pflege und Betreuung regelmässig Zeit für sich selbst nehmen dürfe und nicht nur für die betroffene Person da sein müsse. Elena Konstantinidis ergänzt: «Für viele sind bereits das Gefühl, nicht allein zu sein mit einem Problem und der soziale Austausch mit Gleichgesinnten emotional stärkend.» Der Kontakt mit Menschen, die bereits länger betroffen seien, mache zudem Mut und man erhalte Informationen und praktische Tipps für den Alltag, zum Beispiel wie man mit Stoma ins Schwimmbad gehen könne oder als Tetraplegiker den Transfer in die Badewanne schaffe. Diesen Wissensaustausch bräuchte es ebenfalls auf übergeordneter Ebene zu den vielfältigsten Themen im Bereich Gesundheit und Krankheit.

Wissen, um im Notfall richtig zu handeln
«Unser Gesundheitswesen ist eines der besten und teuersten auf der ganzen Welt. Ein grosses Sparpotenzial wäre, wenn wir ein Teil des Geldes in die Prävention stecken würden, zum Beispiel indem wir schon in der Schule anfangen würden, über gewisse Themen zu sprechen und darauf aufmerksam machen. In meinem Verständnis von Gesundheitsversorgung kommt die Prävention viel zu kurz», erklärt Martin Fluder. Um die Menschen in der Schweiz fitter zu machen im Umgang mit körperlichen oder psychischen Notfällen, aber auch um sie mit dem Gesundheitswesen und im Umgang mit sterbenden Menschen vertrauter zu machen, existieren diverse Projekte und Initiativen. Zum Tag der Kranken 2025 stellen wir in unseren Unterlagen vier davon vor: Stärkung der ersten Hilfe, den Ensa-Kurs, bei welchem Laien lernen, psychische Schwierigkeiten früh zu erkennen, zu identifizieren und anzusprechen, den «Letzte-Hilfe-Kurs» rund um die Themen Sterben, Tod und Trauer sowie Femmes- und Männer-Tische als Gesprächsrunden für Frauen und Männer mit und ohne Migrationshintergrund unter anderem zu Gesundheitsthemen. Flankierend dazu ermutigen Fachpersonen, die Medienkompetenz bereits in jungen Jahren zu stärken, damit Menschen lernen, gute von schlechten Gesundheitsinformationen zu unterscheiden.

Das vollständige Dokument mit den Hintergrundinformationen zum diesjährigen Motto finden Interessierte auf unserer Website www.tagderkranken.ch im Bereich Medien.

Wer wir sind

Der «Tag der Kranken» ist ein gemeinnütziger Verein, der 1939 gegründet wurde. Seine 40 Mitglieder sind Patientenorganisationen, Gesundheitsligen, die Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK), Fachverbände wie die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH und andere im Gesundheitswesen tätige Organisationen. Er sensibilisiert die Bevölkerung einmal pro Jahr zu einem Thema aus dem Bereich Gesundheit und Krankheit. Er trägt dazu bei, Beziehungen zwischen kranken und gesunden Menschen zu fördern, Verständnis für die Bedürfnisse der Kranken zu schaffen und an die Pflichten gegenüber den Betroffenen zu erinnern. Zudem setzt sich der Verein für die Anerkennung der Tätigkeiten all jener ein, die sich beruflich und privat für Patientinnen und Patienten engagieren. Wir finanzieren uns über Mitgliederbeiträge und Spenden, IBAN CH24 0900 0000 8918 7572 0.

Weitere Informationen: www.tagderkranken.ch

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