Die institutionelle Kinderbetreuung wurde in der Schweiz in den letzten zwei Jahrzehnten stark ausgebaut [1]. Trotzdem stossen berufstätige Eltern noch immer häufig an Grenzen, da das Kita-Angebot auf Eltern mit regelmässigen Normalarbeitszeiten ausgerichtet ist. Eltern buchen Betreuungsplätze heute üblicherweise in verbindlich festgelegtem Umfang und zu gleichbleibenden Wochentagen. Dies kollidiert regelmässig mit den Anforderungen an ihre Arbeitszeit. Sowohl die Arbeitswelt als auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bedürfen zusehends mehr Flexibilität in Bezug auf Arbeitstage, kurzfristige Termine und Arbeitspensen. Daneben leisten rund 16 Prozent der Erwerbstätigen Schichtarbeit, das heisst sie arbeiten regelmässig spätabends, nachts oder am Wochenende [2–3].
Erweiterte Betreuung ist gefragt
Die Ergebnisse einer 2022 durchgeführten Mitarbeitendenumfrage, die von der Fachhochschule Graubünden bei zwei Spitalbetrieben im Raum Zürich durchgeführt wurde, zeigen die Problematik. So sind Eltern, die institutionelle Betreuungsangebote nutzen, relativ unzufrieden in Bezug auf die Verfügbarkeit von flexiblen Betreuungslösungen und Öffnungszeiten (Abbildung 1). Die Werte kontrastieren – mit Ausnahme der Beurteilung der Betreuungstarife – deutlich zur hohen Zufriedenheit mit der Qualität und der personellen und infrastrukturellen Ausstattung der Betreuungsangebote. Dieses Resultat ist umso bemerkenswerter, als den Mitarbeitenden beider Betriebe Kitas offenstehen, die sich auf oder in unmittelbarer Nähe zum Spitalgelände befinden und mit dem Berufsalltag im Spital vertraut sind [4].
Abbildung 1: Zufriedenheit mit institutioneller Kinderbetreuung (Antworten auf die Frage: «Wie zufrieden sind Sie mit der aktuell in Anspruch genommenen (vorschulischen oder schulergänzenden) Kinderbetreuung bezüglich folgender Aspekte?», Mitarbeitende zweier Spitalbetriebe im Kanton ZH mit Kindern in der spitaleigenen / -nahen oder einer anderen Kita, n = 94 [4].
Befragt nach der Wichtigkeit von flexiblen und erweiterten Betreuungsangeboten zeigt sich, dass insgesamt über 80 Prozent der Eltern die Möglichkeit, kurzfristig zusätzliche Betreuungseinheiten buchen zu können, als «eher wichtig» oder «sehr wichtig» einstufen. Auch die Möglichkeit, monatlich den Betreuungsumfang oder (bei gleichem Betreuungsumfang) mindestens die Betreuungszeiten anpassen zu können, ist für deutlich über 50 Prozent der Eltern eher bis sehr wichtig. Knapp 50 Prozent der Eltern erachten Betreuungsangebote zu Randstunden (Montag – Freitag) sowie ein Betreuungsangebot an Samstagen als bedeutsam. Die Sonntagsbetreuung ist für rund ein Drittel der Befragten relevant (Abbildung 2). Die Ergebnisse bestätigen insgesamt die Resultate einer ebenfalls 2022 in der Gemeinde Davos durchgeführten Elternbefragung, welche die gesamte Bevölkerung umfasste [5].
Abbildung 2: Wichtigkeit der Flexibilisierung und Erweiterung des Betreuungsangebots (Antworten auf die Frage: «Inwiefern würden Sie folgende Flexibilisierungen/Erweiterungen des Betreuungsangebots begrüssen?»), Mitarbeitende zweier Spitalbetriebe im Kanton ZH, n = 76 [4].
Grosse Herausforderung für Anbieter
In der Zusammenarbeit mit institutionellen Kinderbetreuungsanbietern zeigt sich, dass diese das Bedürfnis nach flexibleren und ausgedehnten Betreuungslösungen durchaus erkennen. Gleichzeitig sehen sich die Betriebe bei der Entwicklung solcher Angebote mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. So stellt sich allem voran die Frage, wie das Kindswohl sichergestellt werden kann. Im Vergleich zum normalen Betreuungsalltag sind flexible und erweiterte Angebote mit grösseren Wechseln beim Betreuungspersonal und den Kindergruppen verbunden, allenfalls findet ein Angebot auch in anderen Räumlichkeiten statt. Um unter diesen Gegebenheiten trotzdem eine sorgfältige Eingewöhnung ins Betreuungsumfeld sowie den Aufbau von tragfähigen Beziehungen zum Betreuungspersonal gewährleisten zu können, müssen die bestehenden pädagogischen Konzepte ergänzt werden. Bei Betreuungsangeboten zu atypischen Zeiten ist des Weiteren Rücksicht zu nehmen auf arbeitsrechtliche Beschränkungen und die Bereitschaft des Betreuungspersonals, entsprechende Dienstzeiten zu leisten. Hieraus können Bedingungen resultieren, die auch neue Arbeitszeit- und Anreizmodelle erforderlich machen.
Die zweite Herausforderung ist die Finanzierbarkeit. Flexible Angebote sind mit höheren Kosten verbunden, da mehr Betreuungspersonal vorgehalten werden muss. Bei Angeboten zu atypischen Zeiten ist zudem – mindestens in der Aufbauphase – mit tieferen Auslastungsgraden zu rechnen und sind teilweise Lohnzuschläge auszurichten. Zwar dürfte seitens Eltern eine gewisse Bereitschaft für höhere Tarife bestehen. Beispielsweise erklärten sich in der erwähnten Umfrage im Spitalumfeld 45 Prozent der Eltern bereit, einen Preisaufschlag von 10 Prozent für kurzfristige buchbare Betreuungseinheiten zu akzeptieren. 11 Prozent der Eltern würden einen Preisaufschlag von 20 Prozent hinnehmen [4]. Andererseits stellen bereits die normalen Betreuungstarife verbreitet eine erhebliche Belastung für die Eltern dar, was den Handlungsspielraum auf der Tarifseite wiederum einschränkt. Da auch die öffentliche Hand ihre Finanzierungsverpflichtungen vielfach als erfüllt sieht, ist als dritter Weg vermehrt das Finanzierungspotenzial von Arbeitgebern auszuloten. Da auch bei weitergehenden Betreuungsleistungen wie beim normalen Betreuungsangebot über die Zeit von einer steigenden Nachfrage ausgegangen werden kann, geht es hierbei indes weniger um dauerhafte Unterstützungsbeiträge, als um die Bereitschaft, die wirtschaftlichen Risiken in der Aufbauphase mitzutragen und eine Anschubfinanzierung zu leisten.
Fachkräftepotenzial erschliessen
Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist die Weiterentwicklung des institutionellen Kinderbetreuungsangebots bedeutsam. Erwerbstätige mit unregelmässigen oder atypischen Arbeitszeiten können heute die für eine gelungene Vereinbarkeit von Familie und Beruf erforderliche Betreuung oft nicht zuverlässig organisieren. Fehlen Angehörige vor Ort, welche die Kinderbetreuung übernehmen können, muss die Erwerbstätigkeit vielfach eingeschränkt oder aufgegeben werden. In der Folge kann der Arbeitsmarkt das dringend benötigte Fach- und Arbeitskräftepotenzial nicht vollständig ausschöpfen.
Um das Kinderbetreuungsangebot weiter an die Erfordernisse des Arbeitsmarkts anzupassen, braucht es die Handlungsbereitschaft von verschiedener Seite. Allen voran braucht es Betreuungsbetriebe, die bereit sind, neue Betreuungsangebote zu entwickeln und einzuführen. Sie sind hierzu je eher bereit, je mehr sich Dritte an den wirtschaftlichen Risiken beteiligen. Bund und Kantone haben teils Gefässe geschaffen, die eine Förderung von vermehrt berufskompatiblen Betreuungslösungen zulassen. Daneben sind aber auch Arbeitgeber gefragt, die den Nutzen erweiterter Kinderbetreuungsangebote anerkennen und deshalb bereit sind, temporär einen Teil der Kosten mitzutragen. Schliesslich braucht es die Offenheit der Aufsichtsbehörden gegenüber neuen Betreuungsmodellen und die Bereitschaft, Pilotphasen zuzulassen und konstruktiv zu begleiten.